Anlagenzertifikat für Erzeugungsanlagen
Durch die Transformation der Kraftwerkslandschaft (weg von zentralen, konventionellen Kraftwerken hin zu kleinen dezentralen Erzeugungsanlagen wie Photovoltaik- oder Windanlagen) ist es erforderlich, dass Systemdienstleistungen, die in der Vergangenheit durch konventionelle Kraftwerke auf Höchst- und Hochspannungsebene erbracht wurden, nun durch dezentrale Erzeugungsanlagen auf allen Spannungsebenen bereitgestellt werden. Zu diesen Systemdienstleistungen gehören bspw.
- die Bereitstellung von Blindleistung zur Spannungshaltung im Netz,
- die Steuerung und Überwachung von Betriebsmitteln, um einen störungsfreien Betrieb zu gewährleisten,
- der Lastabwurf zur Frequenzhaltung,
- der geregelte Schwarzstart zum Wiederaufbau der Versorgung.
Ohne die Bereitstellung von Systemdienstleistungen würde das Netz kollabieren.
Um zu gewährleisten, dass dezentrale Erzeugungsanlagen in der Lage sind, die erforderlichen Systemdienstleistungen zu erbringen, gibt es in Deutschland ein umfassendes Regelwerk, welches bspw. die grundsätzliche Pflicht (inkl. Ausnahmen) für die Zertifizierung von dezentralen Erzeugungsanlagen festschreibt.
Allgemein wird in drei Arten von Anlagenzertifikaten unterschieden:
- Anlagenzertifikat A
- Anlagenzertifikat B
- Anlagenzertifikat C
Das Anlagenzertifikat A ist das „Standard-Anlagenzertifikat“. Es ist erforderlich für Erzeugungsanlagen im Bereich 950 kW < PAmax, unabhängig von der Spannungsebene.
Eine Vereinfachung stellt das Anlagenzertifikat B dar. Es wird deshalb auch das „vereinfachte Anlagenzertifikat“ genannt. Für das Anlagenzertifikat B sind beispielsweise keine Netzberechnungen und -simulationen erforderlich. Zudem entfallen verschiedene Prüfkriterien, wodurch das Nachweisverfahren deutlich verschlankt und somit beschleunigt wird.
Das Anlagenzertifikat C bildet einen Sonderfall. Es handelt sich um ein Einzelnachweisverfahren, dementsprechend sind typenspezifische Einheitenzertifikate nicht erforderlich. Der Anschlussnehmer erbringt dann Nachweise in Form von Herstellerdokumenten und Berechnungen.
Vor der Verabschiedung des „Solarpaket 1“ galten folgende Prämissen für die Zertifizierung:
- Bei Anschluss an das NS-Netz galt in der Vergangenheit die Ausnahme von der allgemeinen Zertifizierungspflicht, es war kein Anlagenzertifikat erforderlich.
- In der Mittelspannungsebene wurde abh. von der Anlagengröße ein Anlagenzertifikat B (für 135 kW ≤ PAmax ≤ 950 kW) oder ein Anlagenzertifikat A (für PAmax > 950 kW) gefordert.
- Bei Anschluss an das HS-/HöS-Netz war ein Anlagenzertifikat A zwingend erforderlich.
Durch das „Solarpaket 1“ wurde die Ausnahme von der allgemeinen Zertifizierungspflicht ausgeweitet. Es entscheiden die installierte Leistung ΣPEmax (kumulierte maximale Wirkleistung am NAP) und die vertraglich vereinbarte Einspeiseleistung PAV,E darüber, ob für eine dezentrale Erzeugungsanlage ein Anlagenzertifikat erforderlich ist.
Bild 1 vermittelt einen Überblick über die vier Abstufungen, die sich für Anlagen im Bereich ΣPEmax ≤ 500 kW und PAV,E ≤ 270 kW ergeben.
Bild 1: Regelungsrahmen für EZA im Bereich ΣPEmax ≤ 500 kW und PAV,E ≤ 270 kW
Für Anlagen mit ΣPEmax < 135 kW ist kein Anlagenzertifikat erforderlich (Spalte ganz links in Bild 1).
Auch für Anlagen mit 135 kW ≤ ΣPEmax ≤ 270 kW und PAV,E ≤ 270 kW sowie mit 270 kW < ΣPEmax ≤ 500 kW und PAV,E ≤ 270 kW (Spalten Mitte links und Mitte rechts in Bild 1) ist kein Anlagenzertifikat erforderlich. Für diese Anlagen kommen zu den Anforderungen aus der VDE-AR-N 4105 weitere Vorgaben aus der VDE-AR-N 4110 sowie aus der EAAV hinzu.
Erst für Anlagen mit ΣPEmax > 500 kW und/oder PAV,E > 270 kW ist ein Anlagenzertifikat erforderlich (Spalte ganz rechts in Bild 1). Anders als bisher ist das Anlagenzertifikat nun auch bei Anschluss in der Niederspannung gefordert. Dies gilt jedoch erst, wenn die VDE-AR-N 4105 entsprechend überarbeitet wurde.
Fazit: In Folge des „Solarpaket 1“ ist für Anlagen mit PAV,E > 270 kW oder ΣPEmax > 500 kW ein Anlagenzertifikat B erforderlich, bzw. ab einer Anlagengröße von 950 kW wie gehabt weiterhin ein Anlagenzertifikat A.
Im Rahmen der Zertifizierung werden die Eigenschaften der jeweiligen Erzeugungsanlage den Anforderungen gegenübergestellt. Diese setzen sich aus den allgemein gültigen technischen Anschlussregeln (TARs), netzbetreiberspezifischen TAB sowie den projektspezifischen Vorgaben des Netzbetreibers zusammen. Die Anforderungen sind durch die Erzeugungsanlage einzuhalten. Auf Seiten der Erzeugungsanlage werden bspw. die Komponenten- und Einheitenzertifikate sowie die Herstellerunterlagen geprüft.
Nach Prüfung der eingereichten Unterlagen werden die Ergebnisse in einem Evaluierungsbericht zusammengefasst. Auf Basis dieses Berichts kann das Anlagenzertifikat erteilt werden. Dieses ermächtigt den Anlagenbetreiber zum zeitlich begrenzten Betrieb der Anlage. Nach der Inbetriebsetzung der Anlage erfolgt eine finale Prüfung (tatsächliche Installation vs. Planungsunterlagen). Bei positivem Ausgang der Prüfung kann die abschließende Konformitätserklärung, welche zum dauerhaften Betrieb der Anlage ermächtigt, ausgestellt werden.
Die Erstellung von Anlagenzertifikaten und Konformitätserklärungen erfolgt durch sogenannte Zertifizierungsstellen. Diese müssen selbst wiederum nach der DIN EN ISO/IEC 17065 akkreditiert und zugelassen sein. Auf diese Weise werden eine hohe Qualität der Prüfung und verlässliche Anlagenzertifikate sichergestellt.